2016-10-31

Kodak Vollenda 620



Meine Tochter überraschte mich neulich mit einem Anruf von einem Flohmarkt, wo sie diese Kamera für mich entdeckt hatte. Sie wollte natürlich wissen, ob ich interessiert wäre und 30€ bereit sei zu zahlen. Nach kurzer Recherche rief ich sie zurück und riet ihr maximal 20€ zu bieten, ich hatte ja das Teil ja nicht gesehen und getestet. Dass es mit dieser Strategie geklappt hat, sieht man an diesem Post. Allerdings war ich  wirklich beglückt, am Abend das gute Stück in dieser exzellenten Verfassung in Händen zu haben. Lediglich wenige Gebrauchspuren deuten an, dass diese Faltbalgenkamera überhaupt mal benutzt wurde. Alles funktioniert wie es soll, sogar die zugehörige Ledertasche hatte eine sehr gepflegte Patina. Über die Seriennummer des Compur-Verschlusses gelingt die Altersbestimmung (anhand dieser Liste). Das gute Stück stammt also tatsächlich von 1934 und damit aus dem ersten Produktionsjahr dieses Modells.
Solche Faltbalgenkameras für Rollfilm waren in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts nichts Besonderes. Es gab sie  mit fast identischer Spezifikation von vielen Kameraherstellern (z.B. Agfa Billy, Voigtländer Bessa, …). Das zentrale Bauelement ist der Zentralverschluss, der in diesem Fall (Compur) von Marktführer Deckel stammt und jeweils mit einem entsprechenden Objektiv kombiniert wird. Oft konnten die Kunden die jeweilige Kamera frei konfigurieren, d.h. Verschluss und Objektivwählen, zum entsprechenden Preis natürlich. Der Rest der Kamera war dann relativ generisch, Faltbalgen und Gehäuse, inklusive Filmführung und Klapp- bzw. Diamantsucher. 


Diese hier stammt aus dem Kamerawerk Dr. August Nagel in Stuttgart, das allerdings damals schon zu Kodak gehörte. Der Name Vollenda stammt noch aus vor-Kodak-Zeiten, die "620" bezieht sich natürlich auf Kodaks "neuen" Rollfilm, die meisten Wettbewerber damals verwendeten den 120-Film. Da es 620er Film heute nicht mehr zu kaufen gibt, ich aber einige Spulen davon besitze, habe ich einen 120er umgespult und mit der Kamera verschossen. Der Film ist gerade beim Entwickeln, Ergebnisse demnächst hier...

Von der Kamera gibt es zwei Varianten (Typ 107 und 110), die sich in kleineren Details unterscheiden. Die wohl frühere Variante 107, zu der diese Kamera gehört, hat einen zierlicheren Klappmechanismus für den Balgen sowie den ganz oben gezeigten geradlinigen Vollenda-Schriftzug auf der Rückseite. Typ 110 hat einen wuchtigeren Klappmechanismus, Vollenda wird geschwungen geprägt und auf der Vorderseite prangt eine zusätzliche "Kodak"-Prägung. Außerdem ist der Ausklapp-Rahmensucher bei manchen Kameras auf der anderen Seite des Gehäuses und das rote Filmfenster hat einen Schiebeverschluss. Laut Collectiblend ist Typ 107 der seltenere und wertvollere (hier Typ 110). Viel mehr Infos zu beiden Typen konnte ich allerdings nicht finden. Zu allem Überfluss gibt es auch noch andere Vollenda-620 Typen (109, 128, 153, 567 bis 570). Bei diesen handelt es sich aber um horizontale Faltbalgenkameras für das Format 6x6.

Datenblatt Faltbalgenkamera 6x9 für Rollfilm 620
Objektiv Kodak Anastigmat 10.5 cm f/4.5 (vermutlich 4-Element Tessar Typ, nur Frontelemente werden zur Schärfeeinstellung verwendet). Die Kamera war auch mit anderen Objektiven erhältlich.
Verschluss Compur Zentralverschluss im Objektiv, 1-2-5-10-25-50-100-250, sowie T und B.
Belichtungsmessung keine
Fokussierung Manuell am Objektiv (nur Frontelemente)
Sucher Schwenkbarer Brilliantsucher sowie ausklappbarer Rahmensucher
Blitz kein Anschluss.
Filmtransport mittels Drehknopf und rotem Filmfenster auf Kamerarückwand.
sonst. Ausstattung Selbstauslöser, Stativgewinde (2x 3/8"), ISO-Gewinde für Drahtauslöser, ausklappbarer Standfuß
Maße, Gewicht ca. 38x85x138 mm (zusammengeklappt), 608 g
Batterie keine
Baujahr(e) 1934-1939, 100,890 Exemplare, diese #317328, Verschluss #2722446 vermutlich 1934.
Kaufpreis, Wert heute 55 RM (1934), ca. 30-50 € je nach Zustand und Typ.
Links Sammlung TauberMischa Koning, Emtus, Bedienungsanleitung (engl.), Camera-wiki

2016-10-30

August Nagel

Heute vor 73 Jahren - am 30.10.1943 - verstarb Dr. August Nagel, einer der einflussreichsten Männer hinter der deutschen Kameraindustrie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Und diese war ja bekanntermaßen damals der Weltmaßstab. August Nagel verstarb mit nur 61 Jahren, obiges Bild stammt von ca. 1940. Mit den vielen Kameramodellen, die auf ihn zurückgehen, hat er die Entwicklung der Kameras für die breite Masse entscheidend beeinflusst. Ich war kurz geneigt, ihn den Georg Eastman Deutschlands zu nennen, aber der Vergleich passt nicht wirklich. August Nagel war wohl nicht skrupellos genug und mehr Techniker und Kameradesigner als Unternehmer, dass er es mit Eastman hätte aufnehmen können.

Aber leidenschaftlicher Unternehmer war er schon und er wollte immer frei sein bei seinen Entscheidungen. Schon mit 26 Jahren (1908) gründete er mit einem Partner sein erstes Unternehmen, das später nach dem erfolgreichsten Kameramodell Contessa Kamerawerke genannt werden sollte. Gerade nach dem 1. Weltkrieg übernahm er sich bei der Expansion seiner Aktivitäten aber finanziell, so dass er schließlich die Kontrollmehrheit seiner Unternehmen verlor und in die Fusion zu Zeiss Ikon gezwungen wurde. 1928 trat er allerdings von seinem Vorstandsposten zurück und gründete wieder seine eigene Firma, die Dr. Nagel Kamerawerke in Stuttgart. Den Doktortitel hatte ihm die Universität Freiburg für die Entwicklung einer Ballon-Luftbildkamera ehrenhalber verliehen. Viele ehemalige Mitarbeiter folgten ihm (darunter auch sein Bruder Wilhelm) und so konnte er schnell mit neuen Kameras an alte Erfolge anknüpfen. 

Aber auch hier fehlten ihm schnell die finanziellen Mittel um weiter zu expandieren und seine Ideen umzusetzen. So verkauft er seine Firma schon 1932 an Eastman Kodak, die damit erstmals High-End Kameras im eigenen Hause haben. Gleichzeitig bleibt August Nagel Leiter der Firma in Deutschland und konnte seine Ideen verwirklichen. Eine seiner besten und erfolgreichsten dürfte Kodak langfristig sehr viel Freude gemacht haben: Die Kleinbildpatrone, so wie es sie heute noch gibt. Eingereicht wurde das Patent in Deutschland am 10. Dezember 1935, in den USA am 14. Oktober 1936. Es war nicht die erste Patrone für 35mm Kinofilm, allerdings die erste, die in alle damals angebotenen KB-Kamerasysteme passte. Und August Nagel hatte natürlich auch eine eigene Kamera dafür im Programm: Die Retina. Diese Kamera für breitere Bevölkerungsschichten hat den Kleinbildfirm wohl erst wirklich populär gemacht. Retinas habe ich schon einige in meiner Sammlung, die älteste davon ist hier.  Aber auch vor der Retina kamen die anderen Modelle, die in einer Anzeige von 1932 in England so beworben wurden:
 



2016-10-09

Kameramuseum Heuchelheim


Heute morgen habe ich das kleine aber feine Kameramuseum in Heuchelheim besucht. Untergebracht im ehemaligem Backhaus am Ort, hat es seine Tür lediglich 6 mal im Jahr für drei Stunden geöffnet. (Jeweils am 2. Sonntag in den geradzahligen Monaten von 10-13 Uhr). Allerdings kann man bei den überaus freundlichen Museumsleuten auch private Termine außerder Reihe vereinbaren. Über 2500 Kameras und anderes Zubehör gibt es zu bewundern, alles aus Spenden an das Museum zusammengetragen. Ein Schwerpunkt bildet natürlich Minox, die selbst in Heuchelheim ansässig war und dort Kameras produziert hat. Der Besuch lohnt sich, am Besten bringt man einen Karton altes Fotozeug als Spende mit!